Verfreundete Nachbarn

Veranstalter
Haus der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland (12309)
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12309
Ort
Bonn
Land
Deutschland
Vom - Bis
19.05.2005 - 23.10.2005
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Roland Löffler, Jochen-Christoph Kaiser, Marburg FB Theologie

Verfreundete Nachbarn
Eine Ausstellung im Bonner „Haus der Geschichte“ beleuchtet das spannend-spannungsreiche Verhältnis zwischen Deutschland und Österreich

Es gibt kaum zwei Nachbarländer in Europa, die sich derart aneinander abgearbeitet haben wie Österreich und Deutschland. Sie teilen Sprache, Kultur und zumindest bis zum Ende des Heiligen Römischen Reiches 1804/1806 auch eine gemeinsame Geschichte, die danach als offene Wunde fortwirkte und Vereinigungssehnsüchte schürte. Die Bonner Ausstellung „Verfreundete Nachbarn“, die Texte und Exponate hervorragend aufeinander abstimmt und klare Thesen wagt, sieht deshalb den Anschluss von 1938 nicht als Zufall an. Vielmehr war er in Österreich seit dem 19. Jahrhundert, spätestens seit dem verlorenen Ersten Weltkrieg und dem Ende der Habsburger Monarchie mental vorbereitet. Das zeigen das Foto einer Wiener Großkundgebung vom Februar 1919 ebenso wie Aufrufe von Robert Musil und Thomas Mann. Trotzdem wurde in den stürmischen 1920er und 1930er Jahren der Aufstieg der österreichischen Nazis im rechten Politikspektrum keineswegs nur positiv gesehen. Der nationalistische Austrofaschismus versuchte sich dadurch zu profilieren, indem er die NSDAP zu „überhitlern“ und damit zu verhindern versuchte – eine überraschende Perspektive für den deutschen Besucher. Im Blick auf 1938 wird der stürmisch gefeierten Ankunft Hitlers in Wien Siegmund Freunds Reisetasche und ein aberwitziger Beleg über 25% Reichsfluchtsteuer für seine Übersiedlung nach London gegenübergestellt. Anschluss-Begeisterung und politische Verfolgung waren zwei Seiten einer Medaille.

In der Nachkriegszeit dominiert in Österreich – anders als in Deutschland - der „Opferdiskurs“. Österreich sah sich als „befreites“, Deutschland als „besiegtes“ Land. Der Staatsvertrag vom 1955 fixierte diese Geschichtssicht, indem er Österreich als Opfer einer aggressiven Annexionspolitik beschrieb. Das wurde in Deutschland kritisch aufgenommen und belastete die Beziehungen. Als Gegenleistung für den alliierten Abzug und die Wiederherstellung der vollen Souveränität, bekannte sich Wien zur Neutralität und schloss eine erneute Vereinigung mit Deutschland aus. Die deutsche Teilung wurde zum abschreckenden Beispiel, Neutralität zur logischen Alternative. Sie wiederum verbot sich für die Bundesrepublik und die DDR. So blieben die Nachbarländer politische Referenzgrößen. Es ist ein Verdienst der Bonner Ausstellung, die oft übersehene DDR-Geschichte als wesentlichen Bestandteil der trilateralen deutsch-österreichischen Beziehungen mit zu dokumentieren.

Das von offizieller Seite vorangetriebene österreichische Selbstverständnis als Antithese zu Deutschland setzte sich in der Bevölkerung nur langsam durch. Nach einer Umfrage von 1955 fühlten sich noch 46% der Österreicher „dem deutschen Volk“ zugehörig. Es brauchte einige Jahre, bis sich ein österreichischer Verfassungspatriotismus bildete. Den Nationalstolz beflügelte das legendäre 3:2 von Cordoba bei der Fußball-WM 1978. Spätestens jetzt war die Vorstellung, Österreich fühle sich weiter Deutschland zugehörig, passé.

Auf kulturpolitischem Gebiet waren die Nachkriegsjahre durch einen nostalgischen Regress geprägt, den der Berliner Journalist Walther Schmieding als „Urlaub von der Geschichte“ bezeichnete. Dafür stehen etwa Ernst Marischkas Sissi-Filme, die vordemokratisch-habsburgische Traditionen aufnahmen. Die Auseinandersetzung über die verdrängte NS-Vergangenheit wäre ohne das Engagement kritischer Schriftsteller und Intellektueller undenkbar. Stellvertretend für sie werden Videoausschnitte aus Thomas Bernhards „Heldenplatz“ gezeigt.

Das Ende des Kalten Krieges und die EU-Mitgliedschaft veränderte die politische Neutralität nachhaltig. Die deutsch-österreichischen Beziehungen sind heute – trotz alltäglicher Vorurteile – unproblematisch. Außer, es geht um Mozart: Als das ZDF 2003 in einer historisch anachronistischen Sendung „Unsere Besten“ wählen ließ und er dabei einen vorderen Platz erlangte, sah die Wiener Boulevardpresse den Komponisten vereinnahmt. Werner Schneyder lag wohl gar nicht so falsch, als er bei der Ausstellungseröffnung sagte: „Wir könnten Deutsche sein, wenn wir wollten, aber wir wollen nicht. Die Deutschen wären froh, wenn sie Österreicher sein könnten, aber sie können nicht.“

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